Mittwoch, 20. Juli 2011

El Choclo - Dieses Lied hat eine Geschichte..

Liebe Tango-TänzerInnen,

diesen Freitag widmen wir dem 'el choclo' eine Tanda und wir machen eine historisch vergleichende Tangoübung. Ich spiele drei unterschiedliche Aufnahmen hintereinander:

1) von Victor Orchestra

2) von Juan D'Arienzo
und
3) von Quartango


Denn dieses Lied hat eine Geschichte
und
das ist die Tangogeschichte! ;)


"El choclo" ist (nach der "la cumparsita") wahrscheinlich die berühmteste Tango Melodie der Welt. Das Lied gilt als einer der ältesten Tangos und sein Komponist, Ángel Villoldo (1861 - 1919) wird oft der "Padre del tango" (der Vater des Tangos) genannt.

Ob man ihn als den "Vater" anerkennt oder nicht, ist eine unwichtige Frage..

Seine  berühmteste Komposition, el choclo, ist aber nicht nur ein beliebtes Lied, sondern auf jeden Fall auch ein historisches Ereignis, an dem man die Tangogeschichte studieren kann.

Dieser Eintrag ist einfach ein bescheidener Versuch dahingehend.


Einführung:

Es ist nicht bekannt, wann genau Villoldo el choclo komponiert hat, aber es soll wahrscheinlich kurz vor der Uraufführung des Orchesters von Jose Luis Roncallo, am 3. November 1903, in dem eleganten Restaurant "El Americano" auf der Cangallo Straße (heute Teniente General Perón) gewesen sein.

Es war gewiss kein Versehen, dass das Lied an dem Abend nicht als "Tango" sondern als ein "danza criolla" vorgestellt wurde. Letztendlich wurde damals auf den "Tango" von Besitzern eines so eleganten Restaurants und von den damaligen Eliten der argentinischen Gesellschaft herabgeblickt.

Tango war/ist ja im Grunde keine argentinische Musik: Tango war ein Produkt einer unfassbaren Zusammenstellung der unterschiedlichsten Menschen und Kulturen, die in einer Stadt angetroffen werden konnten, die von Jo Baim sehr treffend als "a truer melting pot than the United States ever was" beschrieben wurde; dieses Gemisch an armen Menschen und deren Tango ist aber von der hohen Schichten des Landes verachtet worden. Wahrscheinlich deswegen schreibt Marta Savigliano, "[t]he history of tango is a history of exiles." Tango war der Schrei der Ausgeschlossenen, der Verachteten..

In diesem Zusammenhang muss man es sich also vorstellen, was für eine Überraschung es war, als sich die argentinische Eliten in Europa beim Tango als einem Modetanz begegnet sind. Dieter Reichardt zitiert ein Gespräch des Argentiniens Botschafters in Paris, Enrique Larretta, in einer Londoner Zeitung 1914, um dieses Erlebnis zu veranschaulichen. Larretta sagte:

"Niemals tanzt man ihn [den Tango] in anständigen Salons oder unter feinen Leuten. Für argentinische Ohren erweckt die Musik des Tangos wirklich unangenehme Vorstellungen. Ich sehe keinen Unterschied zwischen dem Tango, den man in den eleganten Tanzschulen von Paris tanzt und dem der niedrigen nächtlichen Vergnügungszentren von Buenos Aires."


(1. Kapitel)

Deswegen hatten sie 'el choclo' an der Uraufführung, statt als einen "Tango," als "danza criolla" vorgestellt; aber das war vielleicht (wenigstens retrospektiv gesehen) technisch auch nicht ganz so falsch. Damals war der Tango ja noch in seiner frühesten Phase, er hatte den 2/4 Takt mit dem rhythmischen Muster, das uns heute als Milonga bekannt ist.

-1- Die erste Aufnahme, die wir am Freitag hören, ist aus dem Jahr 1912, gespielt von Victor Orchestra (bekannt auch als Victor Dance Orchestra, nach 1927 Victor Symphony Orchestra) und es ist auch eine Milonga.



Das Lied war sehr schnell so berühmt.. Es ist eine lustige Geschichte, die Néstor Pistón uns erzählt: Während des Ersten Weltkrieges besuchte der argentinische Journalist Tito Livio Foppa eine offiziellen Party an der deutschen Front. Der Klavierspieler will die Nationalhymne spielen, um ihn zu ehren, aber was er eigentlich spielte, war "El choclo" :D


(2. Kapitel)

El choclo war vielleicht nie die Nationalhymne von Argentinien, aber das Lied war schon einer der wichtigsten internationalen Vertreter des Tangos.

Inzwischen, ungefähr Ende der 20er und Anfang der 30er, hatte der Tango auch seine klassiche Form mit 4/4 Takt gefunden und während der Goldenen Zeiten des Tangos wurde el choclo von fast allen Orchester interpretiert.

Das Lied hat auch im Ausland einige andere Lieder inspririert, wie das berühmteste Beispiel "Kiss of Fire" von Louis Armstrong.

Das Lied bekommt auch einen neuen Text, geschrieben 1947 von Enrique Santos Discépolo und Juan C. Marambio, der dieser berühmten Melodie den Respekt zeigt, den sie seit Langem völlig verdient hat:

"
Con este tango que es burlón y compadrito se ató dos alas la ambición de mi suburbio;
con este tango nació el tango, y como un grito salió del sórdido barrial buscando el cielo
...
Al evocarte, tango querido, siento que tiemblan las baldosas de un bailongo y oigo el rezongo de mi pasado
...
"


[Mit diesem Tango, der spöttisch und geckenhaft ist, hat sich die Ambition meiner Vorstadt zwei Flügel festgebunden;
mit diesem Tango wurde der Tango geboren, und wie ein Schrei verließ er das schmutzige Viertel, den Himmel suchend
...
Wenn ich Dich anrufe, geliebter Tango, fühle ich, daß der Boden von einem Tanzsalon erzittert, und ich höre das Grollen meiner Vergangenheit
...]
(Übersetzung: Andrés Fragoso & Frank Schladitz)


-2- Die zweite Aufnahme des Abends kommt von Juan D'Arrienzo, 1954, und wir hören das Lied dieses Mal ganz klar als Tango.


(3. Kapitel)


Das waren die Zeiten, die 40er und 50er.. Es kommen neue Moden (z.B. Rock'n'Roll), politische Änderungen, usw.


So endet eine Ära, bis der Tango Jahrzehnten später von einer neuen Generation neu endeckt wurde..


Da spielt Piazzolla gewiss mit seinem "Tango Nuevo" eine besondere Rolle, mit dessen Schwung auch die alte Tradition nochmals aufgetaucht ist; aber dieses Mal, anscheinend, um zu bleiben, und zwar für immer.. :-)


Auf jeden Fall ist im Grunde das, was Tango so lange am Leben erhalten hat und ihn heute so beliebt macht, dass der Tango einer der sehr wenigen Dinge im Leben ist, die uns in einer kalten Welt ein Stück von der menschliche Wärme bringen können..


Der Tango, der alte Baum, unter dessen Schatten wir tanzen, blüht heute nochmals auf. Und auch der neue Tango findet seinen Sinn immer noch in den alten Baumstammen, die in einer Tiefe vom mehr als hundert Jahren liegen.


-3- Der dritte Aufnahme des Abends kommt von einem heutigen Orchester, Quartango. Der Rhythmus wechselt zwischen Milonga und Tango in einem zeitgenössischen Geist hin und her..


Nachtisch:

Während wir unsere Schuhe wechseln, lege ich als Nachtisch am Ende des Abends eine originelle 'el choclo' Aufnahme von Villoldo, aus dem Jahr 1912 und eine besondere, neuere Aufnahme des Liedes von Maria Graña auf.



So endet
unsere
Geschichte

oder
so fängt
sie an,

wie
Ihr wollt.. ;)




Bis Freitag,

Burak